1927 Bundesgesetz über Automobil- und Fahrradverkehr abgelehnt

1927 Bundesgesetz über Automobil- und Fahrradverkehr abgelehnt

 

Gegen den ersten Versuch ein Bundesgesetz über den Automobil- und Fahrradverkehr einzuführen [DOKUMENT], wird das Referendum ergriffen. Am 15. Mai 1927 wird das Gesetz vom Volk an der Urne mit 59.9% und einer Differenz von 113’100 Stimmen deutlich verworfen [LINK].

Bevor wir uns mit den Gründen der Ablehnung befassen, vergegenwärtigen wir uns kurz, wie sich Ende 1926, das Strassenbild in der Schweiz präsentierte. Die 3’959’000 Einwohner besassen 36’070 Personenwagen (Stand 2022: 4.7 Mio. Personenwagen). Bei diesem Verhältnis von einem Personenwagen auf 110 Einwohner, können wir davon ausgehen, dass ein Auto damals nur etwas für wirklich wohlhabende Menschen war. Hingegen gab es 722’487 Fahrräder, was einem Verhältnis von einem Velo auf 5.48 Einwohner entspricht. D.h. es gab damals 20 mal mehr Menschen die ein Fahrrad besassen. Das Velo war das Fortbewegungsmittel der einfachen Leute. Quelle: Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1926, Original-Seite 226 [LINK] und Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1927, Original-Seite 237 [LINK].

Das Gesetz sieht für Fahrräder ein Kontrollschild vor: «Die Benützung eines Fahrrades ist nur nach Anbringung eines Kontrollschildes gestattet». Obwohl eine Nummerierung des Kontrollschilds im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird, können wir davon ausgehen, dass diese vorgesehen war. Denn der Begriff «Kontrollschild» schloss (im Zusammenhang mit Fahrrädern) in den letzten 25 Jahren immer und in sämtlichen Kantonen eine Nummerierung ein. Zusammengefasst bedeutet das, dass Bundesrat und Parlament die Bedürfnisse der Kantone schwerer gewichtet haben als das Hauptanliegen der Radfahrerverbände. Die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung überliess das Gesetz der Kompetenz der Kantone.

Die Automobilisten kritisieren zwar die Einführung der obligatorischen Autohaftpflicht und die als drakonisch empfundenen Strafbestimmungen, doch ihr Engagement gegen die Vorlage ist nur halbherzig. Während der Automobil Club der Schweiz (ACS) und der Verband Schweizerischer Motorlastwagenbesitzer (ASPA) erst nach längerem Zögern und entsprechend spät auf den Referendumszug aufspringen, unterstützt der Touring Club der Schweiz als grösster Automobilverband das Referendum nicht.

Hingegen mobilisieren der Schweizerische Radfahrerbund (SRB) und der Arbeiter-Radfahrerbund (ARB) als Referendumsführer der ersten Stunde konsequent und entschlossen gegen die Vorlage. Der Hauptgrund für ihre Ablehnung sind vordergründig die bisherigen Kontrollschilder mit den bis zu 4 cm grossen Registrierungsnummern (beinahe wie bei Autos). Eines ihrer Abstimmungsplakate dazu besagt. “In der ganzen Welt keine Velonummern! – Nur der «freie» Schweizer lässt sich nummerieren! Auto- und Radfahrergesetz: NEIN!” [BILD]. Genaugenommen steht die Abschaffung der Velonummern allerdings stellvertretend für die Abschaffung der als unsozial empfundenen Abgaben, welche die kleinen Leute für ihre Velos zu entrichten haben. Eine Ausführliche Analyse dieser Volksabstimmung hat Swissvotes zusammengestellt [DOKUMENT].

Diese eindrückliche Machtdemonstration der Radfahrerverbände wird sich einschneidend auf die Ausgestaltung des nächsten Versuchs, 1932 ein Strassenverkehrsgesetz zu erlassen, auswirken.

Andere Gründe für die Ablehnung gab es im Kanton Graubünden. Dort gilt bis 1925 ein in Europa einzigartiges Fahrverbot für Motorfahrzeuge. Erst nach zehn gescheiterten Versuchen an der Urne, stimmt der Bündner Souverän am 21. Juni 1925 knapp einer Vorlage zu, die das Befahren der Strassen mit Autos bis acht Plätzen erlaubt. Nun droht mit dem neuen Bundesgesetz die Aufhebung dieser Limite und die Emotionen kochen aufs Neue hoch (siehe Abstimmungs-Flugblatt der Gegner) [DOKUMENT].

Mehr Informationen finden Sie im Schweizer Velonummern Museum: Geschichte der Schweizer Fahrradkennzeichen