2011 Abschaffung Velovignette Verordnung Medienmitteilung

2011 Abschaffung Velovignette; Verordnung Medienmitteilung

 

Die Velovignette (seit 1989), damit das Haftpflicht-Obligatorium für Fahrräder (seit 1933) und damit auch generell die Fahrradkennzeichen (seit 1894) werden in der ganzen Schweiz abgeschafft. Man kommt zur Überzeugung, dass über 90% der Bevölkerung bereits über eine private Haftpflicht-Versicherung verfügt und die Vignette damit zu einer unzweckmässigen doppelten Abdeckung desselben Risikos führt. Die Abschaffung in acht Episoden dauert 3 Jahre.

Da auch die politische Entwicklung rund ums Fahrradkennzeichen inzwischen im digitalen Zeitalter angekommen ist, kann man nun sämtliche Debatten und jede einzelne Wortmeldung unserer Volkvertreter wortgetreu online nachlesen [CHRONOLOGIE].

Episode 1: Die parlamentarische Initiative

Am 19. Dezember 2008 reicht Ständerat Philipp Stähelin (ehemaliger Präsident der CVP), aus dem Kanton Thurgau eine parlamentarische Initiative zur Abschaffung des Haftpflicht-Versicherungsobligatoriums für Radfahrerinnen und Radfahrer ein. Er begründet seinen Vorstoss kurz und knapp wie folgt: «Die Fahrradnummern sind zu einem “alten Zopf” verkommen. Sie bringen viel unnötigen administrativen Aufwand. In der Folge werden sie im Verkehr kaum mehr kontrolliert. Die damit verbundene Haftpflichtversicherung ist bei einem Grossteil der Radfahrer bereits auch privat vorhanden. Ein guter Teil der Fahrräder ist zudem ohne Nummern in Verkehr. Die Nachbarländer haben in aller Regel keine Nummernpflicht» [LINK].

Episode 2: Die Vorprüfung

Die Initiative wird erstmals am 28. Mai 2009 im Ständerat zur Vorprüfung behandelt. Dazu sind sechs Voten dokumentiert. Die Debatte bleibt reine Männersache. Der Initiative wird mit 21:8 Stimmen Folge gegeben.

Episode 3: Die Kommission

Am 4. Mai 2010 unterbreitet die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerates (KVF-S) ihren Bericht zur Stellungnahme dem Bundesrat. Die von der KVF-S durchgeführte Vernehmlassung hat gezeigt, dass die Abschaffung der Fahrradvignette bei praktisch allen politischen Parteien und einer klaren Mehrheit der Kantone Anklang findet. Indes wird die Abschaffung von praktisch allen Verbänden, insbesondere von allen Verkehrsverbänden, abgelehnt. Dies bedeutet letztlich nichts anderes, als dass sowohl die Verbände der Radfahrerinnen und Radfahrer als auch diejenigen der potenziellen Verkehrsopfer das heutige System schätzen und daran festhalten wollen [DOKUMENT].

Episode 4: Der Antrag des Bundesrats

Am 4. Juni 2010 nimmt der Bundesrat zum Bericht der ständerätlichen Kommission Stellung. Nach Abwägung der positiven und negativen Auswirkungen auf die verschiedenen Beteiligten sowie der anschliessenden Würdigung formuliert er seinen Antrag wie folgt: «Der Bundesrat ist mit der Vorlage grundsätzlich einverstanden, beantragt aber zur Verbesserung des Opferschutzes zusätzlich folgende Änderung des Strassenverkehrsgesetzes» [DOKUMENT].

Art. 76 Abs. 5 Bst. a

5 Der Bundesrat kann im Falle von Absatz 2 Buchstabe a:

  1. den Nationalen Garantiefonds zur Vorleistung verpflichten, wenn der Schadenverursacher

keine leistungspflichtige Haftpflichtversicherung hat oder

das Fehlen eines leistungspflichtigen Haftpflichtversicherers strittig ist.

Episode 5: Die Beratung im Parlament

Die Beratung der Initiative beginnt am 16. Juni 2010 im Ständerat (Erstrat). Erstmals ergreift mit Anita Fetz (Basel-Stadt) auch eine Frau das Wort.

Ausserdem ehrt Bundesrat Moritz Leuenberger, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK die Velonummer mit einem wirklich würdigen und wehmütigen Abgesang. Er spricht vom Veloschild aus dickem Metall, von Sittenzerfall und wildgewordener Liberalisierung: «Zunächst danke ich der Kommission, dass sie unseren Antrag aufgenommen hat, welcher die Stellung der Opfer zumindest verbessern will, indem sie auch aus dem Garantiefonds bezahlt werden sollen, wenn sie von jemandem geschädigt wurden, der eben nicht versichert war. Immerhin gehören natürlich diese 10 Prozent, die nicht versichert sind, nicht automatisch zu derjenigen Klasse, die genügend Geld hat, um das effektiv zu bezahlen. Das ist tatsächlich eine Schwierigkeit.

Im Übrigen hat sich der Bundesrat – ach, dem Trend der Zeit folgend – Ihnen angeschlossen. Ich will aber betonen, dass er dieser Velovignette schon eine Träne der Nostalgie nachweint. Das ist schon ein bisschen ein Zeichen eines Sittenzerfalls in einer wildgewordenen Liberalisierung. Früher hatten wir noch ein richtiges Veloschild aus dickem Metall, das wir jährlich beim Polizeiposten kaufen mussten. Das führte zu ersten positiven sozialen Kontakten mit der Polizei, mit den Ordnungshütern in diesem Land. Wir mussten diese Veloplakette vertikal, zentriert, in der Mitte beim Gepäckträger anschrauben, nicht horizontal. Es war schon ein erstes Zeichen der Verwilderung, dass Einzelne diese Plakette horizontal statt vertikal angeschraubt haben, mit einer Schraube, mit einer Mutter, mit einer Schutzscheibe, damit sich die Schraube nicht löste. Und dann kam die Vignette. Die Vignette klebte man irgendwo auf dem Fahrrad hin – und jetzt ist sogar auch das schon vorbei! Man fragt sich manchmal, an was man sich in diesem Land noch halten kann. Nicht einmal mehr an den Ständerat! (Heiterkeit) Aber wir schliessen uns an

Der Ständerat beschiesst Eintreten ohne Gegenantrag.

Im Nationalrat (Zweitrat) wird die Initiative am 22. September 2010 beraten. Es gibt 19 Voten. Während links eher für die Beibehaltung der Velovignette ist, stellt sich Rechts eher dagegen. Der Entwurf wird mit 96:51 Stimmen angenommen.

Episode 6: Die Schlussabstimmung im Parlament

Die Beratung in den beiden Kammern beginnt am 16. Juni 2010. Die Schlussabstimmungen im Parlament finden am 1. Oktober 2010 statt. Der Nationalrat nimmt das Gesetz mit 127:58, der Ständerat mit 38:2 Stimmen, bei einer Enthaltung an. Die vom Bundesrat gewünschte Änderung wird sinngemäss am 1. Oktober 2010 in das Strassenverkehrsgesetz SVG aufgenommen.

Episode 7: Das Gesetz

Am 20. Januar 2011 läuft die Referendumsfrist für die Änderungen am Strassenverkehrsgesetz SVG unbenützt ab. Die Änderungen des SVG werden auf den 1. Januar 2012 in Kraft gesetzt [DOKUMENT].

Episode 8: Die Verordnung

Am 12. Oktober 2011 beschliesst der Bundesrat die entsprechenden Änderungen zur Aufhebung der Vignettenpflicht auf Verordnungsebene. Sie treten ebenfalls auf den 1. Januar 2012 in Kraft. Ab diesem Datum müssen Fahrräder in der Schweiz keine Vignette mehr tragen. Für Schäden, die Radfahrer und Radfahrerinnen verursachen, werden künftig ihre privaten Haftpflichtversicherungen oder diese selber aufkommen müssen [Medienmitteilung des Bundesrats].

Mehr Informationen finden Sie im Schweizer Velonummern Museum: Geschichte der Schweizer Fahrradkennzeichen